Daran hatte ich gar nicht gedacht!
Als ich letzte Woche unsere Kinder in die Kita gebracht hatte, unterhielt ich mich mit einer anderen Mutter auf dem Parkplatz. Ich erwähnte, dass ich die Zeit vormittags für meinen Blog nutze, wenn unser Baby schläft.
„Ach, du hast einen Blog? Worüber schreibst du denn?“
„Über die beziehungsstarke Lernkultur in der Schule. Also darüber, wie wir die Beziehungen und damit auch das Lernen der Kinder und die Arbeit der Lehrer:innen stärken können.“
„Das interessiert mich, was ist denn da besonders wichtig?“
Ich fing an zu erzählen und mir fiel auf, dass ich auf dem Blog noch keinen Artikel habe, der das Thema zusammenfasst! Also habe ich die letzten Vormittage genutzt und das Wichtigste aus knapp 50 Artikeln für dich zusammengetragen.
Was eine beziehungsstarke Lernkultur ausmacht, wie alle Seiten davon profitieren und welche konkreten Ideen du umsetzen kannst, erfährst du in diesem Blogartikel.
Was bedeutet ‚beziehungsstark‘?
Alle werden gesehen: inspirierte Lehrer:innen, motivierte Schüler:innen und gelassene Eltern. Sie stehen alle in Beziehung zueinander.
Die Beziehungsqualität ist wichtig für erfolgreiches Lernen. Das ist spätestens seit der Hattie-Studie bekannt. Sie beeinflusst auch die Gesundheit der Menschen in der Schule.
Es gilt der Grundsatz: Bindung vor Bildung!
Diese Überlegungen helfen dabei, ins Handeln zu kommen:
- Was beeinflusst deine Fähigkeit, starke Beziehungen in der Schule aufzubauen?
- Welche bisherigen Standpunkte müsstest du über Bord werfen, damit Wertschätzung und Vertrauen einziehen dürfen?
- Welche neuen Lösungen werden dann möglich?
Ein Schlüssel ist Persönlichkeitsentwicklung. Persönlichkeitsentwicklung bedeutet, dass du alte, übernommene Standpunkte hinterfragst.
Stattdessen nimmst du solche ein, die für Erwachsene und Kinder in der Schule funktionieren. Das ist das Neue daran ?
Was ist eine Lernkultur?
Diese Definition nimmt alle Beteiligten in den Blick:
„Lernkultur bezeichnet … die Gesamtheit der Lern- und Entwicklungspotentiale, die über das Zusammenwirken der Mitglieder in Interaktions- und Kommunikationsprozessen auf unterrichtlicher, kollegialer und organisatorischer Ebene arrangiert werden.“
Arnold, Rolf; Schüßler, Ingeborg (1998): Wandel der Lernkulturen. Ideen und Bausteine für ein lebendiges Lernen, S. 4.
Sowohl die Kinder und Jugendlichen lernen, als auch die Erwachsenen. Dadurch entsteht eine lernende Schule. Eine Lernkultur herrscht nicht nur im Unterricht, sondern prägt das gesamte Schulleben. Sie bietet deshalb einen orientierenden Rahmen für alle.
„Diese Orientierungsfunktion bleibt … so lange erhalten, solange die der überlieferten Lernkultur zugrundeliegenden Normen, Werte und Deutungsmuster von den Lehrenden und Lernenden geteilt werden.“
ebd. S. 6.
Und genau darum geht’s hier!
Ist Beziehungsorientierung in der Schule wichtig, kann eine beziehungsstarke Lernkultur entstehen.
Lehrer:innen, Schulleitung und Eltern sind verantwortlich für die Beziehungsqualität.
#1 Persönlichkeitsentwicklung der Lehrer:innen
In der aktuellen Schuldiskussion stehen vor allem methodische Fragen im Fokus. Digitalisierung wird als Lösung für erfolgreiches Lernen gefeiert.
Dabei tritt etwas Wichtiges in den Hintergrund. Lehrer:innen handeln nach Überzeugungen, die ihnen meist nicht bewusst sind und die durch keine äußere Reform ersetzt werden können.
Die innere Reform geht der äußeren voraus. Deshalb ist Digitalisierung allein keine Lösung. Tradierte Vorstellungen von Lernen, Lehrerrolle und Kontrolle müssen ebenso weiterentwickelt werden. Lehrer:innen beginnen erst einmal bei sich selbst.
- Welche Überzeugungen haben sie über sich als Lehrer:innen?
- Welche Schlussfolgerungen haben sie in ihrer eigenen Schulzeit und später im Beruf über sich gezogen?
- Wie selbstwirksam fühlen sie sich?
Die eigenen Selbstwirksamkeitserwartungen stehen schließlich im Zusammenhang mit Burnout!
Genauso wichtig ist, welches Bild sie von Schüler:innen haben. Das wirkt sich einerseits auf die Beziehung aus, andererseits hängen davon auch die Leistungen der Kinder und Jugendlichen ab. Darauf gehe ich in diesem Artikel näher ein: „Lästerpäuschen im Lehrerzimmer – wie sehen wir Jugendliche?“
#2 Ausrichtung ist wichtig
Macht sich eine Schulgemeinschaft auf den Weg, ist eine Vision ihrer zukünftigen Schule hilfreich. Wohin soll die Route führen? Wenn ab heute alles so eintritt, wie sich die Schulgemeinschaft das wünscht, wie wäre Schule und ihr Wirken?
Die Schulleitung hat die Kapitänsmütze auf und steuert das. Sie stärkt dabei dem Kollegium den Rücken, d.h. sie steht hinter den Lehrer:innen statt vor ihnen. Dafür braucht sie Vertrauen und Power.
Die gemeinsame Vision ist wie ein Anker, den die Schulgemeinschaft in die Zukunft wirft. Sie ermöglicht es, inne zu halten, wenn es stürmisch zugeht und dran zu bleiben, wenn Flaute herrscht.
Aus dieser Vision können Lehrer:innen ihren Beitrag ableiten. Günstig ist dabei eine Absicht, die über das eigene Wohl hinausgeht. Dann geht es nicht mehr um das Ego und Lehrer:innen können wirklich einen Unterschied machen. Mehr liest du dazu in meinem Artikel „Wieso bist du Lehrer:in?“.
Ja, ich kenne die Gegenargumente, die nun in deinem Kopf auftauchen 🙂 Das funktioniert an deiner Schule noch nicht, weil das Kollegium keinen gemeinsamen Nenner hat? Oder weil deine Schulleitung mit Druck und Misstrauen kontrolliert und damit kein Klima für Weiterentwicklung schafft?
Ja, das gibt’s. Dann bist du verantwortlich für deine Vision im Schulalltag. Und wer weiß, wen du damit ermutigst, es dir gleich zu tun!
#3 Moral über Bord werfen!
Schulen haben eine riesige Ladung Moral an Bord und sind deshalb oft mühsam unterwegs. Zum Glück kann dieses Gewicht abgeladen oder über Bord geworfen werden ? Für eine Lernkultur im Wandel brauchen wir Bewegungsspielraum.
Moral zwingt uns dazu, in Richtig und Falsch zu denken und nur einen Lösungsweg anzuerkennen. Meistens unseren eigenen. Lernkultur ist das Gegenteil von Fehlerkultur. Kinder dürfen Fehler machen und Lehrer:innen Neues ausprobieren. Das ist möglich, wenn Ergebnisse nicht gegen sie verwendet werden. Diese Fragen sind hilfreich:
- Wie reagierst du auf deine eigenen Fehler?
- Machst du dich klein? Oder nutzt du sie, um herauszufinden, wie es klappt?
- Wie gehst du mit Fehlern deiner Schüler:innen oder Kolleg:innen um?
Am Beispiel von Klassenregeln zeige ich, wie du althergebrachtes moralisches Denken hinterfragen und eine beziehungsstarke Lösung finden kannst.
Sind Fehler Helfer?
Ein großer Bereich ist außerdem die Leistungsbeurteilung. Im Moment begegnet mir auf Instagram der Satz „Fehler sind Helfer“. Die Idee ist an sich großartig, darf aber nicht zur Phrase werden.
Das stimmt nämlich nur, wenn du es bei Noten und Rückmeldungen konsequent durchziehst! Wenn ein Kind im Unterricht Fehler machen darf, auf dem Zeugnis aber trotzdem eine Fünf hat, sind Fehler für dieses Kind garantiert keine Helfer. Du merkst gerade, dass ich mit Noten auf Kriegsfuß stehe, oder??
Was ich sagen möchte: Eine neue Lernkultur berücksichtigt das. Du fügst z.B. eine ergänzende Rückmeldung der Note hinzu oder ihr schafft an deiner Schule Noten teilweise ab. Es gibt einige Alternativen, die schon umgesetzt werden! So sind Fehler auch wirklich Helfer.
#4 Macht für andere einsetzen
Lehrer:innen haben die Macht! Sie haben die Macht, ihre Schüler:innen zu stärken oder zu schwächen. Tatsächlich haben sie keine Wahl, ob sie Macht einsetzen oder nicht. Sie tun es immer.
Lehrer:innen tragen die volle Verantwortung. Sie führen, auch wenn sie nicht führen können oder wollen.
Ulrike Kegler
Wenn du eine negative Meinung über Macht hast, willst du sie nicht nutzen. Im Umgang mit Schüler:innen oder Schuleltern funktioniert das aber nicht. Deine Macht kannst du für andere einsetzen statt gegen sie. Dazu liest du in diesem Artikel mehr: „Sollten Lehrer:innen sich bei Schüler:innen entschuldigen?“
Abonniere meine Beziehungspost und bleibe auf deinem beziehungsstarken Weg!
#5 Mehr Gelassenheit für Schuleltern
Nicht nur die Beziehung zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen ist wichtig. Beim Stichwort ‚Elternarbeit‘ wird vielen Lehrer:innen schon ganz anders. By the way: Wieso eigentlich Elternarbeit? Da ist der Name doch Programm! ‚Beziehung zu Schuleltern‘ trifft es doch besser, oder?
Die Meinung über das Gegenüber bestimmt, wie wir kooperieren. Deshalb lohnt es sich für beide Seiten, ihre Überzeugungen zu hinterfragen. So wird der Elternsprechtag entspannter.
Eltern ermöglichen ihren Kindern eine gute Schulzeit, wenn sie ihre eigenen Erfahrungen nicht auf sie übertragen. Dazu zählt auch ihre Meinung über Mathe, Latein und weitere ‚Hassfächer‘. Im Artikel „5 Impulse für mehr Gelassenheit“ gehe ich intensiv auf die Situation von Schuleltern ein.
#6 Lernlust statt Lernfrust
Vielleicht wunderst du dich, dass es in diesem Artikel zur Lernkultur jetzt erst um’s Lernen geht? Berücksichtige, dass all die oben genannten Punkte einen immensen Einfluss auf das Lernen der Schüler:innen haben!
Es geht nicht nur um neue Methoden, wenn wir eine neue Lernkultur aufbauen. Es geht in erster Linie um Haltung, Selbstreflexion und den Mut, die eigenen Meinungen zu revidieren. DANN fallen uns alternative Wege für mehr Freude beim Lernen ein.
Gleichzeitig müssen wir sehen: Wenn Kinder und Jugendliche schon viel Erfahrung im bisherigen Schulsystem gesammelt haben, bringen sie ihre eigenen Schlussfolgerungen mit.
Sie haben Glaubenssätze über sich selbst, über Lernen, Schule, Lehrer:innen, Mitschüler:innen usw. im Gepäck.
Wollen wir Schule weiterentwickeln, müssen wir die Schüler:innen an Bord holen.
Das heißt, Persönlichkeitsentwicklung ist genauso wichtig für sie wie für uns Erwachsene.
Sie dürfen sich z.B. solche Fragen stellen:
- Was denke ich über mich, wenn ich eine bestimmte Note habe?
- Wie erlebe ich Schule meistens?
- Was kann ich richtig gut?
- Was würde ich gerne lernen?
#7 Glaubenssätze und Ziele als Unterrichtsthemen
Lerncoaching wird in der beziehungsstarken Lernkultur nicht extra angeboten. Es wird auch nicht auf eine Projektwoche reduziert.
Lerncoaching und Persönlichkeitsentwicklung sind Teil des Unterrichts.
Ich reflektiere mit meinen Kursen z.B. vor Klassenarbeiten Aussagen wie „Das kann ich nicht“ oder „Latein ist zu schwer für mich“.
Zum (Halb-)Jahresstart formulieren wir gemeinsam smarte Ziele für einen Lebensbereich ihrer Wahl. Dafür nutzen wir das Lebensrad.
In einer Vertretungsstunde kam ich mit der 9e darüber ins Gespäch, wie sie Schule erleben. Ich zeigte ihnen eine großartige Möglichkeit, aus der gedanklichen Negativspirale auszusteigen. Solche Stunden berühren mich jedes Mal wieder. Komm‘ mit in die 9e und lies mehr.
Wenn Schüler:innen herausgefunden haben, wofür sie zur Schule gehen, haben sie allein dadurch schon eine bessere Schulzeit.
#8 Vertrauen und Zutrauen in Schüler:innen
Im Lockdown wurde nicht nur die digitale Lücke deutlich. Auch selbstgesteuertes Lernen war häufig Fehlanzeige. Bisher haben die allermeisten Schulen weder selbstverantwortliches noch selbstgesteuertes Lernen gefördert. Woran liegt das? Die Antwort ist einfach.
Sie hatten nicht die Absicht, dass Kinder diese Fähigkeit entwickeln.
Sonst hätten sie einen Weg gefunden. Was leisten Lehrer:innen, wenn Schüler:innen selbstgesteuert lernen? Sind sie dann überflüssig? Das befürchten viele. Und wer will schon überflüssig sein? 😉 Ausführliche Gedanken habe ich mir im Artikel „Wir brauchen selbstgesteuertes Lernen“ gemacht.
Damit hängt eine weitere wichtige Frage zusammen: Was trauen wir den Kindern und Jugendlichen zu? Besonders denen, die schon vom traditionellen Schulsystem sozialisiert und scheinbar wenig zu motivieren sind?
Ich habe an einer Fortbildung zum ‚Lernen im Team mit eduScrum‘ teilgenommen und war sofort begeistert. Mit dieser Methode kommen wir der Selbststeuerung einen großen Schritt näher. Alles Wissenswerte dazu liest du in meinem Blogartikel zu eduScrum.
#9 Gehirngerecht lernen heißt selbstverantwortlich lernen
Wenn wir diese Punkte umsetzen, können wir Antworten auf die Frage finden: Was funktioniert wirklich für Potentialentfaltung?
Für mich war das gehirngerechte Lernen nach Vera F. Birkenbihl die Entdeckung. Sie hat sowohl gehirngerechte Tools für das Lernen allgemein als auch für das Sprachenlernen entwickelt.
Die vier Schritte der Sprachenlernmethode funktionieren wunderbar. Sie machen meinen Lateinunterricht endlich zu einem positiven Erlebnis für alle, weil wir komplett aufs Auswendiglernen verzichten! Wir nutzen dabei die Art und Weise, wie unser Gehirn lernt: assoziativ, im Austausch, kategorisierend und auf Basis positiver Gefühle.
Meinen Erfahrungen zum gehirngerechten Lateinunterricht habe ich eine eigene Kategorie gewidmet. Als Einstiegsartikel empfehle ich dir „Vokabeln und Grammatik – geht’s auch ohne?“.
Im Lockdown kamen die betreffenden Schülerinnen auch ohne meine Anwesenheit gut klar, weil wir selbstverantwortliches Lernen etabliert hatten!
#10 Dem Einzelkämpfertum und Mental Load @work gemeinsam an den Kragen!
Lehrer:innen arbeiten immer noch als Einzelkämpfer. Sie haben eine unendliche gedankliche To-Do-Liste, die auch Mental Workload genannt wird. Sie sind verantwortlich für Planung, Durchführung und Reflexion und können weniger delegieren als andere Führungskräfte.
Frauen sind dabei doppelt belastet, weil sie sowohl die berufliche Liste im Kopf für die Schule führen als auch die private für die Familie zuhause.
Damit wir unseren Beruf dauerhaft inspiriert und gesund ausüben können, müssen wir Verantwortung teilen! Dazu findest du die Kategorie „Zwischenruf: Frau.Mama.Lehrerin“. Lade dir für den Schulalltag die Checkliste mit meinen 10 Ideen gegen Mental Load @work herunter.
Fazit
Ich fasse noch einmal zusammen: Die beziehungsstarke Lernkultur gilt nicht nur für Schüler:innen, sondern auch für Lehrer:innen, Schulleitung und Eltern.
Die Erwachsenen sind verantwortlich für die Beziehungsqualität. Deshalb ist es wichtig, dass sie ihre Standpunkte immer wieder hinterfragen. Dadurch wird ein neues Denken über Macht, Moral, Noten, selbstgesteuertes Lernen und Schule möglich.
Konkrete methodische Umsetzungsideen findest du hier auf dem Blog: z.B. Teamarbeit mit eduScrum und gehirngerechtes Lernen nach Vera F. Birkenbihl.
Wenn du die 10 Schritte für dich oder gemeinsam mit Gleichgesinnten an deiner Schule gehst, stärkst du deine Beziehungen in der Schule. Du erlebst dich als selbstwirksam, was wichtig für deine Gesundheit im Lehrerberuf ist.
Teilst du Verantwortung mit anderen, hast du statt Mental Load endlich wieder einen freien Kopf für neue Ideen.
Welchen Schritt gehst du zuerst? Oder bist du schon unterwegs?